Ibrahim Evsan ist Web 2.0-Jüngern kein Unbekannter. Der 35-jährige ist vielen als Gründer von der Videoplattform sevenload bekannt und bloggt auf www.ibrahimevsan.de über die Medienwelt.
Mit “Der Fixierungscode” hat Evsan einen Wegweiser für das Internet geschrieben, der nicht nur für Eingeweihte ein Gewinn ist.
Das Internet ist heute omnipräsent. Im Vergleich zum Jahr 2000 hat die digitale Revolution die Mediennutzung radikal verändert. Aufbauend auf diesen Fakten erläutert Evsan in der Einleitung das Internet und wie es funktioniert. Im Vergleich zum Auto fahren, für das man zu Recht einen Führerschein benötigt, um die theoretischen und praktischen Kenntnisse und Fertigkeiten zu belegen, kann sich jeder im Netz ohne besondere Ausbildung bewegen. Ob das gut ist? Eher nicht.
Ibrahim Evsan teilt unsere Gesellschaft in zwei voneinander getrennte Kulturen auf. Die “Onliner” und die “Offliner”. Der Onliner hat den digitalen Raum bereits betreten und es sich dort bequem gemacht, während der Offliner noch den Schlüssel in dieses Zimmer sucht. Schwierig wird es im realen leben, wo beide Kulturen aufeinandertreffen, denn vom Äußeren her ist der Onliner keineswegs vom Offliner zu unterscheiden.
Gefährlich wird es auch, wenn der Offliner von den Entwicklungen und den Informationen, die im Internet zur Verfügung stehen, abgeschnitten wird. Der Onliner hingegen läuft Gefahr, wenn die Risiken des Online-Lebens unterschätzt und bagatellisiert werden. Nicht weniger kritisch wird es, wenn die Onliner ihren Handies, Smartphones, iPads und Computern mehr Bedeutung als ihren Mitmenschen schenken.
Schon bei diesen Beschreibungen in der Einleitung habe ich mich treffend charakteriert gefühlt. Auch ich zücke bei jeder Gelegenheit mein Smartphone und werde nervös, wenn die LED am Motorola Milestone blinkt und eine neue E-Mail ankündigt.
Der erste Kapitel
Der “Fixierungscode” aus dem Buchtitel ist eine Wertschöpfung von Evsan. Er beschreibt damit die Wandlung der Mensch-Geräte-Beziehung hin zur Geräte-Mensch-Beziehung. Der Onliner kennt es nur zu gut: das Internet dient der Stärkung der eigenen Reputation und wird benutzt, um schnell und zielgerichtet Informationen zu erhalten. Brisant wird es, wenn der Wunsch nach Information zur Informations-, Sammel- oder Spielsucht ausartet. Denn das Leben im ständigen Online-Modus hat nicht nur Vorzüge. Die Technik kann seinen Nutzer auch versklaven.
Im ersten Kapitel wird der “Fixierungscode” vertieft. Er steht für eine neuartige Mensch-Geräte-Beziehung, denn wir passen uns langsam den Geräten an, ohne dies zu bemerken. Mit Fixierung meint Evsan, dass sich der digital lebende Mensch zunehmend auf die digitalen Geräte und Programme fixiert und der Code ist erforderlich, um mit den Geräten in Interaktion zu treten.
Evsan erklärt darüber hinaus, wie groß die Herausforderung ist, sein digitales Leben erfolgreich zu führen, ohne sich in der Datenflut zu verlieren (“Wir leben nicht mehr außerhalb des Netzes, wird sind das Netz.”). Denn unser gesamtes privates Gedächtnis ist inzwischen digital fixiert. Handy, E-Mail, Onlinebanking, Adressbuch, Fotos, Musik, Bücher und Social Media – alles ist digital. Und: unsere digitalen Spuren im Netz sind unauslöschlich!
Am Beispiel von Twitter wird der Wandel vom Web 1.0 (Konsumenten-Web) zum Web 2.0 (Mitmach-Web) veranschaulicht. “Jeder twitternde Mensch ist eine öffentliche Person”, hebt der Autor warnend den Zeigefinger, ohne dabei allerdings zu erwähnen, dass es auch die Möglichkeit gibt, in einem geschützten Account zu zwitschern, der nur von mir ausgewählten Nutzern das Lesen der Tweets ermöglicht.
Ibrahim Evsan ermuntert den Leser, seine Online-Reputation zu hegen und zu pflegen. Aufgrund der Digitalisierung und dem daraus entstehenden gläsernen User sind wir quasi “zwangsunsterblich” geworden.
Der zweite Kapitel
Das zweite Kapitel ist den Chancen und Gefahren des Internets gewidmet. Das Internet nimmt sowohl beruflich als auch privat bei vielen Menschen einen großen Teil des Tagesablaufs ein. Und jeder dieser Menschen hinterlässt Spuren, die nicht verblassen. Das führt zu neuen Fragestellungen, die in der analogen Welt bisher unbekannt waren und für die in der digitalen Welt Antworten gefunden werden müssen (Stichwort: digitale Zwangsunsterblichkeit und ihre Folgen).
Denn das Internet vergisst im Gegensatz zum Menschen nicht. Genau wie im richtigen Leben geht es im digitalen Leben darum, souverän und verantwortungsvoll zu handeln und damit umzugehen. Niemand möchte Spuren hinterlassen, die er später lieber nicht hinterlassen hätte.
Ibrahim Evsan prophezeit, dass Information und Kommunikation die treibenden Kräfte des Internets sind und auch zukünftig bleiben werden. Nur wer in diesem Strom mitzuschwimmen vermag, kann in der digitalen Welt bestehen. Nicht zu vernachlässigen ist die Selektion der Daten, damit der Nutzer nicht regelrecht in der Informationsflut ertrinkt.
Es kann sich auch lohnen, bisher ungewohnte Wege zu gehen. Wie wäre es mit einer “Internet-Diät”? Der Schriftsteller ermuntert, ganz bewusst einen Tag lang auf das Dauerfeuer der Informationen zu verzichten und stattdessen Askese an den Tag zu legen.
Der dritte Kapitel
Das dritte Kapitel ist den digitalen Supermächten wie Google und Amazon gewidment. Evsan erläutert, wie allgegenwärtig Google und seine Marktmacht ist und welche Folgen dies für jeden einzelnen hat. Darüber hinaus wird deutlich, dass den digitalen Supermächten bisher keine Institution gegenüber steht, die die Rechte Einzelner schützt. Trotz der warnenden Worte vor Google und seiner Allmacht und seinen so genialen Produkten ist der Autor ebenso begeistert von der als “Datenkrake” diffamierten Firma aus Mountain View.
Der vierte Kapitel
Kapitel 4 handelt von der digitalen Selbstbestimmung. Jeder von uns ist selbst verantwortlich, welche Daten er in welcher Güte und Detaillierung preisgibt und muss ermessen, welchen Preis er dafür zahlt, gläsern zu sein.
Am Beispiel von Twitter wird die Gefahler für die digitale Selbstbestimmung verdeutlicht. Jeder aktive Twitterer kann Informationen streuen, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Und jeder Empfänger von Tweets muss für sich den Wahrheitsgehalt der Information bewerten und einschätzen.
Evsan fordert auf, die digitale Selbstbestimmung als Grundrecht einzufordern – ein Appell, der insbesondere im Zusammenhang mit Facebook nicht an Aktualität eingebüßt hat.
Der fünfte Kapitel
Im letzten Kapitel ermutigt Ibrahim Evsam zum gedanklichen Neustart und gibt dafür Starthilfe. Er fordert, die intuitive Informations- und Wissensverarbeitung schon früh zu fördern, damit unsere Kinder, die mitten in der digitalen Welt aufwachsen und manch einem von uns bereits darin überlegen sind, bestehen können. Evsan wünscht sich abschließend, dass die Offliner zu Onlinern werden und postuliert, dass niemandem der Zugang in die digitale Welt verwehrt werden darf.
Mein Fazit
“Der Fixierungscode” ist der Wegweiser durch das Internet, das Navigationsgerät, das den Weg vorbei an den Bits und Bytes weist. Die 164 Seiten des Buches sind kurzweilig geschrieben und eignen sich auch zum “zwischendurch mal lesen”. Als vermeintlicher Onliner hatte ich nie das Gefühl, dass mich die Inhalte des Buches langweilen. Im Gegenteil: auch ich konnte Neues lernen.
Das Buch ist nicht nur für Onliner interessant. Auch Offliner, die bisher den Weg ins Netz gescheut haben, werden von Ibrahim Evsan mit dem nötigen Rüstzeug für die ersten Online-Schritte versorgt. Und wieso sollte das Online-Kind seinen Offline-Eltern nicht zum Weihnachtsfest mit der kurzweiligen und lehrreichen Lektüre “Der Fixierungscode” eine Freude machen, damit sich beide Generationen noch ein Stückchen besser verstehen?
Update 30.12.2010
Zu meiner Überraschung hat Ibrahim Evsan meine Rezension bei Twitter und Facebook gepostet – das freut mich!
29. März 2011 um 11:24
“Was wir über das Internet wissen müssen, wenn wir überleben wollen” ist der Untertitel zu Ibrahim Evsans Buch, dass ist sicherlich übertrieben. Doch gibt es einen guten Überblick über die Möglichkeiten und Risiken sowie viele Hintergrundinformationen zur digitalen Welt.
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