Ein Ostwestfale im Rheinland

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Cover Rezension Als Großmutter im Regen tanzte Trude Teige

Rezension: Als Großmutter im Regen tanzte von Trude Teige

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Trude Teiges Roman “Als Großmutter im Regen tanzte” ist weit mehr als eine Familiengeschichte, die sich über drei Generationen erstreckt. Es ist ein tief bewegendes Werk, das die Leserinnen und Leser mit den lang verschwiegenen Traumata des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit konfrontiert.
Mit einer beeindruckenden Sensibilität und detailliert historischer Genauigkeit widmet sich die norwegische Autorin insbesondere dem Schicksal der Flüchtlinge und Vertriebenen im Osten Deutschlands und den grausamen Gräueltaten, die durch die Rote Armee verübt wurden.

Zwei zeitliche Ebenen

Cover Rezension Als Großmutter im Regen tanzte Trude TeigeDie Handlung des Romans entfaltet sich auf zwei Zeitebenen. In der Gegenwart reist Juni, eine junge Frau in einer persönlichen Krise, auf eine kleine norwegische Insel in das Haus ihrer verstorbenen Großmutter Tekla. Beim Ausräumen stößt sie auf ein Foto, das Tekla mit einem deutschen Soldaten zeigt, und auf weitere Spuren, die auf ein tiefes, schmerzhaftes Geheimnis in ihrer Familiengeschichte hindeuten. Junis Suche nach Antworten führt sie auf eine Reise in die Vergangenheit, zurück in die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs in Deutschland.

Diese zweite Zeitebene bildet das Herzstück des Romans und ist von beklemmender Intensität. Es kam nicht selten vor, dass ich beim Lesen innehalten musste, um das Gelesene zu verarbeiten.

Teige zeichnet das Porträt von Tekla, einer jungen Norwegerin, die sich während der deutschen Besatzung in den Soldaten Otto verliebt. Ihre Liebe, von der eigenen Familie als Verrat gebrandmarkt, führt sie an seiner Seite nach Deutschland, in die kleine Stadt Demmin in Mecklenburg-Vorpommern.

Die Flüchtlinge und die Vertreibung: Ein schonungsloser Blick

Der Roman schildert eindringlich die chaotischen und verzweifelten Zustände im Osten Deutschlands, als die Fronten zusammenbrechen und Millionen von Menschen vor der anrückenden Roten Armee auf der Flucht sind. Die Autorin beschreibt die endlosen Flüchtlingstrecks, die sich bei eisiger Kälte westwärts quälen, die Angst, die Entbehrungen und die ständige Bedrohung.

Sie gibt den anonymen Opfern der Vertreibung ein Gesicht, indem sie Teklas Erlebnisse in den Mittelpunkt rückt. Die junge Norwegerin, selbst eine Fremde in einem zerfallenden Land, wird zur Zeugin und Mitleidenden des kollektiven Leids. Trude Teige vermeidet dabei jegliche Form der Verharmlosung oder des Revanchismus. Ihr Blick ist differenziert und menschlich. Sie zeigt auf, wie der Krieg die Zivilbevölkerung auf allen Seiten zermahlen hat und wie die Hoffnung auf Frieden für viele in einer neuen Katastrophe mündete.

Die Gräueltaten der Roten Armee: Das Schweigen brechen

Ein zentrales und besonders erschütterndes Thema des Buches ist die Darstellung der von Soldaten der Roten Armee verübten Gräueltaten. Trude Teige bricht ein langes Tabu und schildert mit unmissverständlicher Deutlichkeit die Massenvergewaltigungen, die willkürlichen Morde und die brutale Gewalt, der die Zivilbevölkerung in den eroberten Gebieten ausgesetzt war.

Der Roman fokussiert sich hierbei auf die historischen Ereignisse in Demmin, wo es nach dem Einmarsch der Roten Armee im Frühjahr 1945 zu einem der größten Massensuizide der deutschen Geschichte kam. Aus Angst vor den Übergriffen, den Demütigungen und der ausweglos erscheinenden Zukunft nahmen sich Hunderte von Kindern, Frauen und Männern das Leben.

Teige beschreibt diese tragischen Tage mit einer beklemmenden Nüchternheit, die die Grausamkeit des Geschehens umso stärker hervortreten lässt. Die Schilderungen sind direkt, schonungslos und für mich oft nur schwer zu ertragen. Doch diese Beschreibungen sind notwendig, um das volle Ausmaß des Traumas zu verstehen, das ganze Generationen gezeichnet hat.

Durch Teklas Augen erlebt der Leser die Panik, die Verzweiflung und den Verlust jeder Menschlichkeit. Die Autorin schafft es, diese unaussprechlichen Ereignisse in eine fiktionale Handlung einzubetten, ohne sie zu instrumentalisieren. Die historischen Fakten sind sorgfältig recherchiert und bilden das Fundament für eine Erzählung, die unter die Haut geht.

Ein wichtiges Buch gegen das Vergessen

“Als Großmutter im Regen tanzte” ist ein literarisch beeindruckender und historisch bedeutsamer Roman. Trude Teige gelingt es meisterhaft, eine persönliche Familiengeschichte mit einem der dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte zu verweben. Die Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Flüchtlinge im Osten und den Verbrechen der Roten Armee ist mutig, notwendig und von großer emotionaler Wucht.

Das Buch ist keine leichte Lektüre, aber es ist eine umso wichtigere. Es erinnert uns daran, wie Krieg das Leben von unschuldigen Menschen zerstört und wie lange die Schatten der Vergangenheit nachwirken können. Indem die Enkelin Juni das Schweigen ihrer Großmutter bricht, leistet auch der Roman einen Beitrag zur Aufarbeitung und zum Gedenken.

Von meiner Seite gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle, die bereit sind, sich mit einer schmerzhaften, aber unvergessenen Wahrheit auseinanderzusetzen.

Autor: Marc

Hallo, ich bin Marc. Schön, dass Du bei mir im Blog vorbeischaust. Hier mein Leben in weniger als 140 Zeichen: Passionierter Läufer, Bücherfreund, iPhone 12, ipad mini 2, Social Media, nur der BVB, Reiseblogger, Vater, (Ehe-) Mann, Chef. Ich bin übrigens auch bei Facebook, und Twitter zu finden.

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