Ein Ostwestfale im Rheinland

Das Leben jenseits des Rheins in mehr oder weniger weisen Worten.

Mum, das Krankenhaus und die Familie

| 1 Kommentar

Der Schlaf in der Nacht ist unruhig gewesen. Immer wieder und wieder bin ich aufgewacht und musste an Mum denken.

Ich hatte kein gutes Gefühl, sondern ein sehr mulmiges; ich hatte Angst, meine Mum heute in Höxter vielleicht das letzte Mal zu sehen und alleine diese Gedanken zu denken und aufzuschreiben, zerreißt mein Herz, ich habe eine Scheißangst vor diesem heutigen Tag. Das Leben ist manchmal so scheiße. Von jetzt auf gleich wird ein stabiles Gebilde in seine Einzelteile zerpflückt und du stehst vor den Trümmern.

Seit Sonntag Abend befindet sich mein Körper in ständiger Alarmbereitschaft, ständig in der Angst, einen Telefonanruf zu erwarten, der eine Nachricht bringt, die niemand hören möchte. Meine Gedanken sind oft bei Mum und es fällt mir schwer, mich auf etwas anderes zu konzentrieren.

Auf dem Weg

Nebel liegt über der Ortschaft, als ich um halb sieben bei kühlen drei Grad zum Bahnhof eile. Was ist der Sinn des Lebens? Aus meinem tiefsten Unterbewusstsein wird diese elementare Frage in mein Gedächtnis gespült und ich halte inne. Ja, was ist eigentlich der Sinn des Lebens? Mir fällt ein Zitat ein, das mir an Allerheiligen während meines Laufens in Erinnerung gerufen worden ist:

Es geht nicht darum, dem Leben möglichst viele Jahre, sondern vielmehr den Jahren möglichst viel Leben zu geben.

Es kommt also nicht darauf an, besonders alt zu werden. Viel wichtiger ist es, das Leben intensiv gelebt und genossen zu haben. Spaß gehabt und Geborgenheit gespürt und gegeben zu haben. Für mich zählt auch dazu, Kinder großgezogen und sie auf das Leben vorbereitet zu haben. Lust am Leben zu haben und dem Gram und dem Unmut möglichst wenig Platz zu lassen. Das macht das Leben aus.

In der Bahn nach Ostwestfalen

Während meiner vierstündigen Bahnfahrt nach Ostwestfalen ist mir bewusst geworden, wie herrlich dieser Herbsttag ist. Blauer Himmel, eine warme Sonne und die bunten Blätter an den Bäumen sorgten für eine ganz besonders schöne Stimmung. In krassem Gegensatz dazu war der Grund meines Besuches. Eine ernsthaft erkrankte Mutter, die nach einem Schlaganfall im Krankenhaus liegt und bei der die Ursache nach dem Schlaganfall immer noch gesucht wird.

Auf der Fahrt mit der Bahn hatte ich ausreichend Zeit, die Gedanken, die mich beschäftigen, auseinanderzunehmen und zumindest ein wenig zu objektivieren. Mir ist aufgefallen, dass ich in meiner Negativität viel zu oft nur die schlechten und düsteren Gedanken zugelassen habe. Ich habe die guten und optimistischen Gedanken komplett ausgeblendet! Wie dumm von mir? Vielleicht. Aber auch vorsichtig von mir. Schließlich neigt der Mensch dazu, eher pessimistisch als optimistisch zu sein. Mit diesem Wissen wuchs ein wenig Zuversicht in mir und ich probierte, positive Gedanken die Oberhand gewinnen zu lassen.

Zum Krankenhaus

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal das Sankt Ansgar Krankenhaus in Höxter von innen gesehen habe. Das ist Jahre, ach was sage ich, das ist Jahrzehnte her.

Die Einrichtung, die ich in Erinnerung habe, ist nicht mehr die gleiche wie damals. Vor das ehemalige Gebäude wurde ein breiter Anbau gesetzt. ‎Nachdem ich den Eingang passiert habe, befinden sich auf der linken Seite nicht mehr wie damals Sitzplätze für wartende Besucher und Patienten. Außerdem geht es auch nicht mehr rechts Richtung Aufzüge. Die damals dunkelbraun gefliesten Wände sind ‎nicht mehr braun, sondern in einem hellen beige und grün gehalten und der Kiosk mit dem kleinen Café gegenüber der Aufzüge ist‎ ebenfalls nicht mehr an Ort und Stelle. Stattdessen gibt es eine große, helle Cafeteria mit Bistro.

‎Ich gehe in den hinteren Teil und entdecke die Aufzüge von damals. Mit einem Kloß im Hals drücke ich im Aufzug auf den Knopf zur Station 4. Ich bin angespannt und nervös. Tränenflüssigkeit sammelt sich, während der Aufzug in die Höhe schwebt. Ich erkundige mich nach der Zimmernummer meiner Mum und stehe vor dem Raum.‎ Dann drücke ich die Klinke.

Ich spüre, wie mir das Adrenalin in den Körper schießt. Meine Mutter macht große Augen, als sie mich sieht, und ich frage erstaunt, ob sie mich nicht erwartet habe. Nein, hat sie nicht, und auch ihr schießen Tränen der Freude in die Augen. ‎Und dann ist nur Glückseligkeit.

Als ich bei Mum auf dem Zimmer angekommen bin, wurde ein ganzer Schwall Bilder aus der Vergangenheit in meinen Kopf gespült. Bilder von Ende Januar dieses Jahres, als ich im HDZ Bad Oeynhausen meinen Vater besucht hatte. Drei Bypässe hat Dad damals bekommen und auch damals war die Todesangst bei mir allgegenwärtig.

Die Rückfahrt

Es ist Dienstag Nachmittag, viertel nach vier. Eben haben mich mein Bruder und mein Dad zum Bahnhof nach Höxter gebracht und ich sitze in der NordWestBahn auf dem Weg nach Westen. Ich habe Schwierigkeiten, meine Gemütslage zu beschreiben. Zu Beginn war ich positiv gestimmt, weil Mum wirklich gut drauf gewesen ist. Sie macht Scherze, ist optimistisch und hatte nur Tränen in den Augen, als ich um kurz nach elf die Stroke-Station betreten habe und sie mit meinem Besuch überrascht habe.

Wir waren auch ein wenig spazieren und das klappt erstaunlich gut. Wenn da nicht der Schwindel und der Kreislauf wären. Das macht mir Sorgen. Ansonsten hatten Mum und ich eine den (äußeren) Umständen entsprechende gute Zeit und ich konnte Anlass zur Freude haben. Getrübt wurde diese Freude durch die Traurigkeit, die mein Vater ausstrahlt. Er macht sich große Sorgen, weil er befürchtet, dass der Oberarzt mit seiner Annahme Recht haben könnte, dass sich bei Mum ein Ödem bildet und eine Operation inklusive Öffnung der Schädeldecke droht. Diese Anspannung meines Dads ist spürbar und greifbar und hat auch von mir Besitz ergriffen.

Doch es gibt auch gute Nachrichten. Die Vorbereitung der Reha im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt läuft und meine Eltern werden diese Reha gemeinsam verbringen. Das gefällt mir extrem gut. Eine Bekannte aus Amelunxen arbeitet im Sozialdienst des Krankenhauses Höxter und hält dort die Fäden im Sinne meiner Mutter in den Händen. Das ist klasse.

Was bleibt jetzt also haften nach dem viereinhalbstündigen Krankenhausbesuch? Ich bin froh, dass ich Mum besucht habe und auch meinen Dad wiedersehen konnte. Dad und ich haben uns beim Mittagessen intensiv austauschen können und ich habe gespürt, dass wir noch näher zusammengerückt sind.
Die Betreuung im St. Ansgar Krankenhaus ist wirklich klasse. Die Schwestern sind zuvorkommend, helfen nach Kräften und kümmern sich. Der Oberarzt ist klasse und eine bessere Unterbringung kann es nicht geben. Es heißt jetzt also Daumen drücken und peu a peu wieder gesund werden.

Mum, du schaffst das. Ich weiß das!

Anmerkung: Diese Zeilen sind von Anfang November 2015. Und ja, Mum hat es geschafft und direkt im Anschluss an den Aufenthalt im Krankenhaus sogar die Reha absolvieren dürfen.

Nun gilt es, jeden Tag ein Stück Normalität zurückzugewinnen. Meine Mum ist auf einem guten Weg.

Autor: Marc

Hallo, ich bin Marc. Schön, dass Du bei mir im Blog vorbeischaust. Hier mein Leben in weniger als 140 Zeichen: Passionierter Läufer, Bücherfreund, iPhone 12, ipad mini 2, Social Media, nur der BVB, Reiseblogger, Vater, (Ehe-) Mann, Chef. Ich bin übrigens auch bei Facebook, und Twitter zu finden.

Ein Kommentar

  1. Pingback: Fackelausstellung, Sankt Martin und Geburtstag – jedes Jahr Stress im November > Persönliches > Fackelausstellung, Gripschen, Kleinenbroich, Laterne, Martinsumzug, Niederrhein, Rheinland, Sankt Martin, Singen, Stutenkerl, Umzug, Weckmann

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.