Ein Ostwestfale im Rheinland

Das Leben jenseits des Rheins in mehr oder weniger weisen Worten.

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Anja und Tanja – Fußball-Event-Fans nerven mich immer noch

| 9 Kommentare

Gestern habe ich eine E-Mail von einem Kumpel bekommen, den ich seit den 1990er Jahren kenne.

Den Kumpel, nennen wir ihn der Einfachheit halber Patrick, habe ich zu einer Zeit kennengelernt, als E-Mail, Whats App und Facebook noch höchstens als futuristische Spielereien in den Köpfen nerdiger Freaks herumgeschwirrt sind. Damals hat man sich noch Briefe geschrieben. Echte Briefe.

Mit Patrick, der mit Spitznamen auch Paddy gerufen wird, hatte ich eine Brieffreundschaft. Das ist an sich nichts Besonderes. Besonders wird die Geschichte dadurch, dass Paddy Fan des FC Bayern München ist und ich bekanntlich gegenüber Borussia Dortmund echte Liebe empfinde.

Lange Zeit haben wir uns nur Briefe geschrieben. Wie bei Teenagern üblich, waren das meist belanglose Briefe, die sich überwiegend um Fußball gedreht haben. Was Paddy schon damals ausgezeichnet hat, war seine Objektivität. Er hat überhaupt kein Problem, die Stärken eines gegnerischen Vereins anzuerkennen und hat sich schon damals auch für schwarz-gelben Fußball begeistern können.

Das führte dazu, dass er eines Herbstes in den Neunzigern aus dem fernen Delmenhorst – ja, ein Bayern-Fan vor den Toren Bremens! – ins östlichste Ostwestfalen gereist ist und einige Tage bei mir verbracht hat. Das Highlight dieser Reise war die Fahrt mit dem BVB-Fanclub Amelunxen zu einem Bundesligaspiel. Gemeinsam haben wir das Spiel – ich weiß gar nicht mehr, wer unser Gegner war – auf der Südtribüne genossen und unsere Freundschaft zelebriert.

In der Folgezeit ist der persönliche Kontakt leider abgebrochen, doch wir halten zumindest auch in jüngster Zeit per E-Mail noch Kontakt. Sei es zu Zeiten der Dortmunder Dominanz in der Spielzeit 2010/2011 und 2011/2012, aber auch zu Triple-Zeiten der Bayern ein Jahr später

Bevor ich weiter abschweife, komme ich zum eigentlichen Thema. Eben jener Patrick hat mir heute eine E-Mail gesendet, die mich sehr überrascht und gefreut hat.

Hier ein Auszug:

Bin gestern abend durch Zufall auf deinen Internet-Blog geraten und möchte dir von Herzen für deinen Beitrag “Anja und Tanja – Fußball-Event-Fans nerven mich nicht nur bei der UEFA EURO 2012” danken.

Speziell der drittletzte und der vorletzte Absatz treffen genau meinen Geschmack; besser hätte ich das auch nicht ausdrücken können.

Es gibt keinen Begriff für mich, wie ich diese Fußball-WM-Event-Touris hasse!

Anja und Tanja in der Bundesliga und bei der WM 2014

Diese E-Mail habe ich zum Anlass genommen, über Anja und Tanja zwei Jahre später zu sinnieren. Und es hat sich im Vergleich zum Sommer 2012 nichts geändert. Im Gegenteil. Es ist noch schlimmer geworden.

EM 2012 Europameisterschaft Deutschland Flagge Beflaggung Wohnzimmer Deutschland BRDDenn seit 2006 ist alles anders. Als Deutschland die Weltmeisterschaft ausrichten durfte, kam es zu einer Zäsur.

Als das Sommermärchen geschrieben worden ist und und die Welt zu Gast bei Freunden war, wehten plötzlich Deutschland-Fahnen an allen möglichen und unmöglichen Stellen.

Auf einmal wehten Flaggen von den Autos und verstopften im Nachgang die Autobahnen, weil der Halter des Fahrzeugs die Hinweise zur Nutzung weder gelesen noch verstanden hat.

So weit, so schlecht. Doch es wurde noch schlimmer.

Haben sich Anja und Tanja, die übrigens nur als Synonym zu verstehen sind und auch Uschi und Klaus sein können, früher nur bei Länderspielen der deutschen Mannschaft herumgetrieben, werden jetzt auch Bundesliga-Spiele von den Event-Fans belagert.

Und ich möchte mit einem weiteren Irrglauben aufräumen: Anja und Tanja sind nicht zwangsläufig nur weiblich. Es gibt auch Marvin und Rouven, das männliche Gegenstück zu Anja und Tanja. Denn auch immer mehr Männer finden sich in den Stadien, die weder einen besonderen Bezug zu der Mannschaft haben, noch überhaupt Ahnung vom Fußball haben.

Diesen Menschen geht es um die Paaaaaarty, um den Alkohol und um den Fun. Und vielleicht noch ein wenig um Fußball, weil die Spielerfrau von Mats Hummels, Cathy Fischer, ja so scharf aussieht.

Fußball spielt nur eine Nebenrolle und ist der vorgeschobene Grund für eine Party unter freiem Himmel beim Public Viewing an öffentlichen Plätzen oder im Stadion

Anja und Tanja sind jetzt auch bei Twitter

Und noch etwas hat sich getan seit der EM 2012. Anja und Tanja sind inzwischen auch bei Twitter aktiv und verbreiten ihre Vorfreude auf die WM in 140 Zeichen:

Ich will das alles nicht!

Seit nunmehr acht Jahren wiederholt sich das grausame Ritual von Voll-Beflaggung ganzer Häuser und Autos, das gruselige Public Viewing und das affektierte Jubeln und Kreischen bei Toren der Jogi-Jünger alle zwei Jahre.

Ich drehe bei so etwas ab.

Ich will kein “Event”, ich brauche keine “Fan-Meile”, keine “Event-Fans” und auch kein “Public Viewing”.

Ich möchte Fußball sehen.

Nicht mehr und nicht weniger.

Autor: Marc

Hallo, ich bin Marc. Schön, dass Du bei mir im Blog vorbeischaust. Hier mein Leben in weniger als 140 Zeichen: Passionierter Läufer, Bücherfreund, iPhone 12, ipad mini 2, Social Media, nur der BVB, Reiseblogger, Vater, (Ehe-) Mann, Chef. Ich bin übrigens auch bei Facebook, und Twitter zu finden.

9 Kommentare

  1. So schaut’s aus. Ich brauche auch nur einen Fernseher (zuhause!) vielleicht noch ein Bier und gut ist. Fernseher an und Fußball schauen. Einfach nur Fußball schauen. Danke! 🙂

  2. Hallo Marc,

    danke für die wahren Worte und die gute Zusammenfassung der Situation. Da mein Freundeskreis bevorzugt im Rudel guckt (und ich schon genug Spiele alleine gucken werde), werde ich wohl auch ein paar Public Viewings miterleben. Da es aber neben den Party-Fanmeilen ja aber auch noch genug Freibäder, Biergärten o.Ä. gibt, wo die WM läuft, sollte man da aber eigentlich immer einen Kompromiss finden. Bin zumindest (noch) optimistisch.

    Bzgl. @TanjaundAnja: Du hat aber schon in Erwägung gezogen, dass das ein Fake-Account aus den Reihen von Ultra-Fans (oder anderen “Sozialromantikern”) sein dürfte, oder? Nur bevor du in den Tweets den Untergang des Fußball-Abendlandes vermutest…

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  7. Dank meiner Kollegin habe ich heute von Anja & Tanja erfahren. Daher muss ich jetzt auch noch so viel später meinen Senf hier dazu geben. Ich bin nun beruhigt, dass diese Spezies einen Namen hat und ich nicht mehr verzweifelt nach Worten ringen muss, um diesen unzumutbaren Zustand zu beschreiben. Auch zu dieser EM ist das Thema wieder sehr präsent und ich glaube, es verjüngt sich… dauernd sehe ich 12jährige Mädchen bauchfrei in Deutschlandflaggen gehüllt – gruselig. Aber auch Frauen, stramm auf dem Weg Richtung 40 und älter, nehmen einem die Freude am Fußball schauen. Meinem Lebensgefährten zuliebe habe ich zum vergangenen Deutschlandspiel Freunde eingeladen, eine A&T war auch dabei… Ich habe mich vor meinen Nachbarn geschämt =( die haben ihr Gequietsche und Geschrei sicher mitbekommen.
    Nicht, dass ich nicht auch eine Frau wäre… seit meinem 5. Lebensjahr habe ich auch ein schwarz gelbes Herz, aber ein Spiel kaputt labern? Abseits nach dem 3. Mal erklären immer noch nicht verstehen? Und ich hab da echt ne wasserdichte Methode es mit Gummibärchen zu erklären^^ Und meine Lieblingsfrage in der Gruppenphase nach einer Niederlage oder einem Unentschieden: ‘Oh, sind wir jetzt raus?’
    Und was soll eigentlich dieses Vive la Mannschaft?? Es verleitet mich, mich fremdzuschämen…
    Ich habe bereits 2008 beschlossen nirgendwo anders außer daheim oder im Stadion Fußball zu schauen – und ich habe nun auch beschlossen, niemanden mehr einzuladen. Mein Lebensgefährte reicht mir, vor allem samstags um 15:30 Uhr^^
    Danke, dass ich meinen Missmut hier mal loswerden konnte

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